Driving home for Christmas (Teil 1)
Vor einigen Jahrzehnten habe ich eine englische Geschichte auf einem Portal für erotische Geschichten gelesen, die mir nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte. Nachdem das jetzt schon ewig her ist, habe ich die Geschichte zum Anlass genommen, eine deutsche (und vor allem Corso-mäßige) Version daraus zu machen.
Viel Spaß!
Driving home for Christmas
„Ehrlich, ich kann den Scheißsong nicht mehr hören!“
„Such halt einen anderen Sender, Bobby, wenn du meinst. Aber so kurz vor Weihnachten spielen alle entweder Driving home für Christmas oder Last Christmas oder so Zeug!“
Bobby bewegte sich auf dem Sitz nach vorne. Der schlanke Finger des Teenangers drückte die Taste für den Sendersuchlauf, Chris Rea kam gerade noch bis zur Zeile „But I will be there“, dann verstummte die Musik, die Zahlen auf dem Display des Bordcomputers bewegten sich hektisch nach oben. Als wieder Musik einsetzte, spielten irgendwelche Streicher klassische Musik.
„Besser?“, die Stimme der älteren Frau auf dem Fahrersitz wirkte genervt. „Das ist gefühlt immerhin schon der dreißigste Sender oder so, den du ausprobierst.“
„Wenn man auf so lahmes Zeug steht, Mum?!“
Bobbys Stimme war nicht weniger genervt. Und in Susanne reifte mit jedem Meter, den sie auf der Autobahn in Richtung Alpen fuhren, der Gedanke, dass es alles andere als eine gute Idee war, wenn Mutter und Tochter alleine in den Ski-Urlaub fahren würden. Generell war es keine schlechte Idee gewesen, sie hatte zuhause, als Susanne das Auto gepackt hatte, auch noch gut geklungen. Mutter und Tochter alleine in den Bergen. Seit der Scheidung von ihrem Mann hatten Bobby, gut bürgerlich auf den Namen Roberta getauft, und sie nicht viel Kontakt. Der Scheidung war ein regelrechter Rosenkrieg vorausgegangen. Im kleinen Ort, wo die Familie wohnte, hielten alle zu ihrem Mann. Natürlich, er war schließlich der Vorstand der Feuerwehr, Solostimme im Gesangsverein und Schriftführer beim Fußballclub. Ach, und nicht zu vergessen, der hiesige Darts-Champion. Zumindest im Ort. Als er sie schlug, gab der ganze Ort ihr die Schuld. Schließlich war sie das Flittchen aus der Großstadt, das sich schon durch wer weiß wie viele Betten gebumst hatte. So, wie sie sich anzog. Als sie sich endlich von ihrem Mann getrennt hatte, musste sie einfach nur noch weg.
Auch an Bobby war der Rosenkrieg nicht spurlos vorübergegangen. Nur, dass sie einen eigenen Weg wählte, um damit fertigzuwerden. Sie zog sich von beiden Elternteilen zurück, wechselte die Schule, tauchte sozusagen in einem strengen, katholischen Mädcheninternat unter. Sie war 16, es war ihre Entscheidung, Susanne konnte sie nicht umstimmen. Und Robert, ihr Ex-Mann wollte es nicht. Insgeheim war er wohl froh, dass er die beiden los war.
Der Schneefall draußen wurde stärker, die Schneeflocken tanzten durch die Lichtkegel der Scheinwerfer, dichter und dichter, bis es langsam wie ein einziger, weißer Vorhang aussah. Bobby hatte inzwischen schon wieder zweimal den Sender gewechselt.
Das war jetzt alles gut zwei Jahre her. Susanne war weggezogen, Bobby in das Internat in der nächsten Stadt gegangen, gesehen hatten sie sich zu Weihnachten und in den Ferien. Dazwischen sporadische Telefongespräche. Der Gedanke, mit ihr ihren 18. Geburtstag, den Bobby vor wenigen Tagen allein in Internat begehen musste, in einem spontanen Ski-Urlaub nachzufeiern, fühlte sich zuhause noch so gut an. Aber jetzt war es, als säße eine fremde junge Frau neben ihr. Wobei sie Bobby immer noch als ihr kleines Mädchen sah. Schlank, vielleicht sogar ein wenig dünn, groß, ja richtig hochgeschossen, kleine Brüste, die sich vorwitzig unter dem Hoodie mit dem Schullogo abzeichneten, der Hals schlank, das Kinn markant, die Augen stechend blau unter einem frechen roten Pony.
„Du, Bobby, erzähl mir etwas.“
„Was willst du hören, Mum?“
„Ich weiß nicht, etwas über dich. Ich finde es … komisch, dass wir so wenig miteinander sprechen. Ich weiß nichts über dich. Ich meine, was ist deine Lieblingsfarbe, wer sind deine Freundinnen, hast du einen Freund, was machst du die ganze Zeit? Erzähl mir etwas über dich.“
Bobbys Finger wechselte erneut den Sender. Dire Straits waren also auch nicht ihr Ding. Der Teenager neben ihr seufzte.
„Mum, du weißt, dass ich nicht so gern auf heile Familie mache.“
„Wir müssen ja nicht so tun, erzähle es mir als Freundin, wenn du willst. Ich will nur die Zeit nutzen, um wieder mehr von dir zu erfahren“, Susannes Stimme klang flehentlich.
„O. k., wie du willst. Die Antworten lauten rot, Mascha und Tini aus meinem Zimmer im Internat, nein und alles Mögliche.“
Mascha und Tini kannte Susanne von den Momenten, wenn sie Bobby aus dem Internat abholte. Zwei nette Mädchen, schien es.
„Sie sind nett“, Susanne versuchte die einsetzende Stille mit Konversation zu füllen. Im Radio fing Chris Rea wieder an, seine Heimfahrt zum Christfest anzukündigen. Diesmal schnellten Susannes und Bobbys Finger gleichzeitig zum Radio. Die beiden Frauen begannen zu lachen.
„Und du hast keinen Freund?“
„Nö!“, Bobby lümmelte sich bequemer in den Vordersitz. „Bei den Pinguinen lernt man jetzt nicht so schnell einen kennen und bei Paps im Ort sind nur Vollspaten und angehende Alkoholiker. Darauf kann ich gerne verzichten. Und du passt ja auch immer auf mich auf.“
„Sorry, ich bin wohl zu übervorsichtig und will dich nur behüten. Vielleicht, weil ich in deinem Alter schon übel verletzt wurde. Ich möchte dir das ersparen.“
„Mum, vielleicht hast du einfach kein Händchen für Kerle. Ich meine, wenn du damals schon verletzt wurdest … und das mit Paps lief ja auch nicht so rund …“
„Ich weiß nicht, vielleicht hast du Recht? Ich habe vielleicht kein Händchen für Beziehungen. Ich meine, ich lerne schon nette Männer kennen, mit denen es eigentlich gut läuft …“
Susanne stockte. War sie gerade dabei, ihrer Tochter zu erzählen, dass sie seit ihrer Scheidung ein durchaus angenehmes Sexleben hatte? Sie hatte dem Fehler widerstanden und sich nicht in eine neue, enttäuschende Beziehung gestürzt, sondern ihre neue Freiheit genossen. Mit Mitte vierzig durfte sie das, fand sie. Sie sah gut aus, hatte eine Figur, für die Männer morden würden, war nicht zu füllig, Rundungen da, wo Mann sie gerne hat, eine durchaus ansehnliche Oberweite und war auch sonst kein Kind von Traurigkeit. Im Gegenteil! Wenn die Kumpels von ihrem Ex-Mann wüssten, was sie seit der Scheidung alles getrieben hatte, dann wäre Schlampe sicherlich noch das netteste Kompliment für sie. Wobei, wenn sie wüssten, wie man mit ihr Spaß haben konnte, hätten sie Schlange gestanden, um auch einmal einen von ihr geblasen zu bekommen.
„Möchtest du denn einen kennenlernen, Bobby?“
„Ich weiß nicht. Lass mich erst die Schule fertig machen. Irgendwie bin ich ganz froh, dass der ganze Beziehungsstress an mir vorüber geht. Ich meine, wer hat Bock auf die paar Wochen Sonnenschein, wenn der Preis das ganze Geschreie und Geheule danach ist.“
„Dein Vater und ich waren wohl keine guten Vorbilder, oder?“
„Nein, wart ihr nicht. Aber keine Angst, ich werde kein Pinguin! Nicht, dass du jetzt denkst …“ Und nach einer kleinen Pause fügte Bobby hinzu: „Und eine Lesbe bin ich auch nicht. Wahrscheinlich …“
Susanne drehte sich um und wollte ihre Tochter ansehen, aber die hatte sich weggedreht und starrte durch das Seitenfenster in die Dunkelheit. Lediglich in der Spiegelung der Scheibe konnte sie das Gesicht ihrer Tochter sehen, aber die Reflexion ließ keine Schlüsse zu, ob das als Scherz gemeint war. Vielleicht war es auch mehr als ein Scherz, schließlich haben katholische Mädcheninternate einen besonderen Ruf und heranwachsende Mädchen zusammen in einem Zimmer. Tag und Nacht. Vielleicht ist etwas dran an den Geschichten, die man sich erzählt. Und hatte sie nicht auch ihre Erfahrungen mit dem eigenen Geschlecht gemacht und sie genossen?
„Und wenn, wäre es auch nicht schlimm“, versuchte Susanne die Situation zu bereinigen. „Eine Frau weiß schließlich, was einer anderen Frau gefällt. Da können Männer noch viel lernen.“
„Mum!“, Bobby drehte sich blitzschnell zu ihr und spielte die Entrüstete. „Ich will gar nicht wissen, wie viele Frauen du schon flachgelegt hast. Außerdem schärft uns der Drache jeden Abend ein, dass es am besten ist, rein wie eine Lilie zu Bett zu gehen und ebenso rein wieder aufzuwachen.“
„Der Drache?“, Susanne prustete fast vor Lachen.
„Schwester Maria Margarete. Sie hält die Lesung beim Abendessen und beendet sie jeden Abend mit dem gleichen Satz. Aber weil sie gefühlt schon Hundert ist, kann ihr das keines der Mädels übel nehmen …“
Der Verkehrsfunk unterbrach Bobbys unerwartetes Geständnis. Und was die beiden Frauen hörten, war eine schier endlose Litanei von Autobahnnummern, auf denen es zu Behinderungen kam.
„Gesperrt wegen liegengebliebener LKW sind weiterhin die A 8, die A 9, die A …“
„Shit! Irgendwo vor uns geht es nicht mehr weiter. Schauen wir bloß, dass wir von der Autobahn kommen, bevor wir irgendwo in einer Totalsperre landen und die Nacht im Auto verbringen müssen.“
Susanne fluchte.
„Schau mal, Mum. Da vorne ist eine Raststätte. Vielleicht haben die ein kleines Hotel oder sowas, wo wir übernachten können.“
Also setzte Susanne den Blinker und fuhr auf die Raststätte, auf der sich vor der Tankstelle schon ein kleiner Stau gebildet hatte. Sie ließen die Fahrzeuge hinter sich und fuhren über den kleinen Parkplatz in Richtung des leuchtenden Logos einer großen Fastfood-Kette. Neben dem Fastfood-Restaurant war tatsächlich eine Art „Hotel“, wobei man die Wand aus auf- und nebeneinander gesetzten Wohncontainern mit Fenstern wahrlich nicht so beschreiben konnte. Aber falls sie noch ein Zimmer bekämen, wäre es besser als nichts.
Als sie den Wagen anhielten und ausstiegen, empfing sie ein eisiger Schneewirbel.
„Schauen wir, dass wir hineinkommen. Um unser Gepäck können wir uns noch kümmern, wenn wir eingecheckt haben“, rief Susanne und Bobby folgte ihr in Richtung Eingangstür.
Der Mann am Empfang verzichtete dankenswerterweise auf den üblichen Smalltalk. Ja, es gebe noch ein Doppelzimmer. Nein, die Zimmer hätten keine Dusche, es gäbe aber Duschen auf jeder Etage. Ja, Frühstück gebe es ab 5.30 Uhr und ja, man könne mit Kreditkarte bezahlen.
Kaum 10 Minuten später lagen die beiden Frauen auf dem Doppelbett und starrten die fleckigweiße Decke des Containerzimmers an.
„Ich gehe mal schnell unsere Taschen holen“, Susanne raffte sich auf, schlüpfte wieder in Schuhe und Jacke und ging zur Tür.
„Soll ich mitgehen?“
„Nein, Bobby. Das schaffe ich auch so.“
Susanne kam aber nicht weiter als bis in den Flur. Sie hatte gerade die Tür wieder hinter sich zugezogen, da prallte sie gegen den massigen Körper eines Mannes.
„Wen haben wir denn da? Wohin denn so schnell kleine Lady?“ Die Stimme des Mannes war tief, der Typ selbst locker über einen Kopf größer als Susanne, die eine Entschuldigung murmelte und sich umdrehen wollte. Aber auch da stand ein Kerl, nicht ganz so groß wie Susanne, aber so muskulös, dass er fast quadratisch wirkte. Und er funkelte sie an.
„Hübsche Dame, wohin denn so schnell?“
„Ich will nur meine Tasche …“
„Wozu denn, Püppchen?“, der große Mann riss sie wieder herum und drückte sie an sich. Sein Gesicht war glatt rasiert, seine Haare glänzten feucht, Susanne konnte nicht umhin festzustellen, dass er wohl gerade geduscht hatte.
„Bitte, lassen Sie mich, ich habe Ihnen doch …“
Der kleinere Mann drückte sich von hinten an sie. Auch er schien gerade geduscht zu haben, denn sein Bart, der ihre Wange berührte, war feucht und roch nach einer Mischung aus Sandelholz, Honig und Vanille.
„Wie wäre es, hübsche Dame, wir könnten doch ein wenig Spaß haben. Wir tun dir auch nicht weh“, hauchte der kleine Mann in ihr Ohr.
Susanne sträubten sich alle Haare. Die beiden Männer hielten sie wie in einem Schraubstock zwischen sich gepresst.
Sie wollte schreien.
Sie sollte schreien.
Aber sie konnte es nicht.
Ein Gefühl der Angst lähmte sie. Und neben dem Gefühl der Angst war da noch etwas. Ein Gefühl, das ihr sagte, dass alles gut würde, vielleicht nicht gut, aber eben auch nicht so schlimm, wenn sie mitspielte.
„Na, Püppchen. Was hältst du von uns beiden?“ Der große Mann lockerte den Griff um ihr Handgelenk ein wenig. Mit der anderen Hand holte er ein Kondom aus seiner Gesäßtasche und hielt es vor sie. „Wir versprechen dir, auch ganz lieb zu dir zu sein und selbstverständlich machen wir es nicht ohne …“
„Und es passiert nichts, was du nicht willst. Nun ja, fast nichts …“, setzte sein Freund hinten nach.
Susanne starrte den Hünen vor sich an. Was war das hier? Eine Vergewaltigung? Wenn ja, dann war es mit Abstand die ungewöhnlichste Art, so etwas zu machen: Keine Drohung, zumindest keine offene, keine Waffe, keine Hände, die sich ungefragt in ihre Körperöffnungen bohrten, die ihr weh taten. All das hatte sie erlebt, in ihrer Ehe, auf Partys, von ihrem Mann und von vermeintlichen Freunden, die sich nahmen, was sie wollten.
Die beiden Männer wichen ein wenig von ihr zurück. Susanne fand sich plötzlich mit dem Rücken zur Tür stehend, ihre beiden „Vergewaltiger“ ihr gegenüber. Sie musterten die Männer, die ihrerseits sie von Kopf bis Fuß taxierte. Hätte sie sie auf einer Party angesprochen? Vielleicht nein. Hätte sie unter normalen Umständen zu einem Quickie Nein gesagt? Sicher nicht. Aber das hier waren keine normalen Umstände.
„Komm schon, Lady. Mach die Tür auf und genieße es. Wir wissen, was wir tun.“
Susanne schüttelte den Kopf.
„Meine Tochter ist da drin. Wir können da nicht …“
WAS hatte sie da gerade gesagt? Wir können da nicht? Sie verfluchte ihr Unterbewusstes, das scheinbar schon zugestimmt hatte, noch bevor sie sich darüber im Klaren war, was aus der Situation werden sollte.
„Die kleine Misses stört uns nicht. Vielleicht …“, der kleine Mann grinste sie an.
„Bobby ist Tabu!“ raunte Susanne. „Sie ist … sie hat noch nicht …“
Der große Mann legte seinen Zeigefinger auf ihre Lippen.
„Sssschhhhh! Du musst nichts erklären. Wenn du sagst, sie ist Tabu, dann ist sie das. So einfach ist das. Wenn sie gehen will, kann sie ja gehen.“
Bevor Susanne noch antworten kann, fühlte sie, wie ihr wortwörtlich der Rückhalt zu schwinden drohte und sie nach hinten kippte.
Bobby hatte die Tür geöffnet.
Viel Spaß!
Driving home for Christmas
„Ehrlich, ich kann den Scheißsong nicht mehr hören!“
„Such halt einen anderen Sender, Bobby, wenn du meinst. Aber so kurz vor Weihnachten spielen alle entweder Driving home für Christmas oder Last Christmas oder so Zeug!“
Bobby bewegte sich auf dem Sitz nach vorne. Der schlanke Finger des Teenangers drückte die Taste für den Sendersuchlauf, Chris Rea kam gerade noch bis zur Zeile „But I will be there“, dann verstummte die Musik, die Zahlen auf dem Display des Bordcomputers bewegten sich hektisch nach oben. Als wieder Musik einsetzte, spielten irgendwelche Streicher klassische Musik.
„Besser?“, die Stimme der älteren Frau auf dem Fahrersitz wirkte genervt. „Das ist gefühlt immerhin schon der dreißigste Sender oder so, den du ausprobierst.“
„Wenn man auf so lahmes Zeug steht, Mum?!“
Bobbys Stimme war nicht weniger genervt. Und in Susanne reifte mit jedem Meter, den sie auf der Autobahn in Richtung Alpen fuhren, der Gedanke, dass es alles andere als eine gute Idee war, wenn Mutter und Tochter alleine in den Ski-Urlaub fahren würden. Generell war es keine schlechte Idee gewesen, sie hatte zuhause, als Susanne das Auto gepackt hatte, auch noch gut geklungen. Mutter und Tochter alleine in den Bergen. Seit der Scheidung von ihrem Mann hatten Bobby, gut bürgerlich auf den Namen Roberta getauft, und sie nicht viel Kontakt. Der Scheidung war ein regelrechter Rosenkrieg vorausgegangen. Im kleinen Ort, wo die Familie wohnte, hielten alle zu ihrem Mann. Natürlich, er war schließlich der Vorstand der Feuerwehr, Solostimme im Gesangsverein und Schriftführer beim Fußballclub. Ach, und nicht zu vergessen, der hiesige Darts-Champion. Zumindest im Ort. Als er sie schlug, gab der ganze Ort ihr die Schuld. Schließlich war sie das Flittchen aus der Großstadt, das sich schon durch wer weiß wie viele Betten gebumst hatte. So, wie sie sich anzog. Als sie sich endlich von ihrem Mann getrennt hatte, musste sie einfach nur noch weg.
Auch an Bobby war der Rosenkrieg nicht spurlos vorübergegangen. Nur, dass sie einen eigenen Weg wählte, um damit fertigzuwerden. Sie zog sich von beiden Elternteilen zurück, wechselte die Schule, tauchte sozusagen in einem strengen, katholischen Mädcheninternat unter. Sie war 16, es war ihre Entscheidung, Susanne konnte sie nicht umstimmen. Und Robert, ihr Ex-Mann wollte es nicht. Insgeheim war er wohl froh, dass er die beiden los war.
Der Schneefall draußen wurde stärker, die Schneeflocken tanzten durch die Lichtkegel der Scheinwerfer, dichter und dichter, bis es langsam wie ein einziger, weißer Vorhang aussah. Bobby hatte inzwischen schon wieder zweimal den Sender gewechselt.
Das war jetzt alles gut zwei Jahre her. Susanne war weggezogen, Bobby in das Internat in der nächsten Stadt gegangen, gesehen hatten sie sich zu Weihnachten und in den Ferien. Dazwischen sporadische Telefongespräche. Der Gedanke, mit ihr ihren 18. Geburtstag, den Bobby vor wenigen Tagen allein in Internat begehen musste, in einem spontanen Ski-Urlaub nachzufeiern, fühlte sich zuhause noch so gut an. Aber jetzt war es, als säße eine fremde junge Frau neben ihr. Wobei sie Bobby immer noch als ihr kleines Mädchen sah. Schlank, vielleicht sogar ein wenig dünn, groß, ja richtig hochgeschossen, kleine Brüste, die sich vorwitzig unter dem Hoodie mit dem Schullogo abzeichneten, der Hals schlank, das Kinn markant, die Augen stechend blau unter einem frechen roten Pony.
„Du, Bobby, erzähl mir etwas.“
„Was willst du hören, Mum?“
„Ich weiß nicht, etwas über dich. Ich finde es … komisch, dass wir so wenig miteinander sprechen. Ich weiß nichts über dich. Ich meine, was ist deine Lieblingsfarbe, wer sind deine Freundinnen, hast du einen Freund, was machst du die ganze Zeit? Erzähl mir etwas über dich.“
Bobbys Finger wechselte erneut den Sender. Dire Straits waren also auch nicht ihr Ding. Der Teenager neben ihr seufzte.
„Mum, du weißt, dass ich nicht so gern auf heile Familie mache.“
„Wir müssen ja nicht so tun, erzähle es mir als Freundin, wenn du willst. Ich will nur die Zeit nutzen, um wieder mehr von dir zu erfahren“, Susannes Stimme klang flehentlich.
„O. k., wie du willst. Die Antworten lauten rot, Mascha und Tini aus meinem Zimmer im Internat, nein und alles Mögliche.“
Mascha und Tini kannte Susanne von den Momenten, wenn sie Bobby aus dem Internat abholte. Zwei nette Mädchen, schien es.
„Sie sind nett“, Susanne versuchte die einsetzende Stille mit Konversation zu füllen. Im Radio fing Chris Rea wieder an, seine Heimfahrt zum Christfest anzukündigen. Diesmal schnellten Susannes und Bobbys Finger gleichzeitig zum Radio. Die beiden Frauen begannen zu lachen.
„Und du hast keinen Freund?“
„Nö!“, Bobby lümmelte sich bequemer in den Vordersitz. „Bei den Pinguinen lernt man jetzt nicht so schnell einen kennen und bei Paps im Ort sind nur Vollspaten und angehende Alkoholiker. Darauf kann ich gerne verzichten. Und du passt ja auch immer auf mich auf.“
„Sorry, ich bin wohl zu übervorsichtig und will dich nur behüten. Vielleicht, weil ich in deinem Alter schon übel verletzt wurde. Ich möchte dir das ersparen.“
„Mum, vielleicht hast du einfach kein Händchen für Kerle. Ich meine, wenn du damals schon verletzt wurdest … und das mit Paps lief ja auch nicht so rund …“
„Ich weiß nicht, vielleicht hast du Recht? Ich habe vielleicht kein Händchen für Beziehungen. Ich meine, ich lerne schon nette Männer kennen, mit denen es eigentlich gut läuft …“
Susanne stockte. War sie gerade dabei, ihrer Tochter zu erzählen, dass sie seit ihrer Scheidung ein durchaus angenehmes Sexleben hatte? Sie hatte dem Fehler widerstanden und sich nicht in eine neue, enttäuschende Beziehung gestürzt, sondern ihre neue Freiheit genossen. Mit Mitte vierzig durfte sie das, fand sie. Sie sah gut aus, hatte eine Figur, für die Männer morden würden, war nicht zu füllig, Rundungen da, wo Mann sie gerne hat, eine durchaus ansehnliche Oberweite und war auch sonst kein Kind von Traurigkeit. Im Gegenteil! Wenn die Kumpels von ihrem Ex-Mann wüssten, was sie seit der Scheidung alles getrieben hatte, dann wäre Schlampe sicherlich noch das netteste Kompliment für sie. Wobei, wenn sie wüssten, wie man mit ihr Spaß haben konnte, hätten sie Schlange gestanden, um auch einmal einen von ihr geblasen zu bekommen.
„Möchtest du denn einen kennenlernen, Bobby?“
„Ich weiß nicht. Lass mich erst die Schule fertig machen. Irgendwie bin ich ganz froh, dass der ganze Beziehungsstress an mir vorüber geht. Ich meine, wer hat Bock auf die paar Wochen Sonnenschein, wenn der Preis das ganze Geschreie und Geheule danach ist.“
„Dein Vater und ich waren wohl keine guten Vorbilder, oder?“
„Nein, wart ihr nicht. Aber keine Angst, ich werde kein Pinguin! Nicht, dass du jetzt denkst …“ Und nach einer kleinen Pause fügte Bobby hinzu: „Und eine Lesbe bin ich auch nicht. Wahrscheinlich …“
Susanne drehte sich um und wollte ihre Tochter ansehen, aber die hatte sich weggedreht und starrte durch das Seitenfenster in die Dunkelheit. Lediglich in der Spiegelung der Scheibe konnte sie das Gesicht ihrer Tochter sehen, aber die Reflexion ließ keine Schlüsse zu, ob das als Scherz gemeint war. Vielleicht war es auch mehr als ein Scherz, schließlich haben katholische Mädcheninternate einen besonderen Ruf und heranwachsende Mädchen zusammen in einem Zimmer. Tag und Nacht. Vielleicht ist etwas dran an den Geschichten, die man sich erzählt. Und hatte sie nicht auch ihre Erfahrungen mit dem eigenen Geschlecht gemacht und sie genossen?
„Und wenn, wäre es auch nicht schlimm“, versuchte Susanne die Situation zu bereinigen. „Eine Frau weiß schließlich, was einer anderen Frau gefällt. Da können Männer noch viel lernen.“
„Mum!“, Bobby drehte sich blitzschnell zu ihr und spielte die Entrüstete. „Ich will gar nicht wissen, wie viele Frauen du schon flachgelegt hast. Außerdem schärft uns der Drache jeden Abend ein, dass es am besten ist, rein wie eine Lilie zu Bett zu gehen und ebenso rein wieder aufzuwachen.“
„Der Drache?“, Susanne prustete fast vor Lachen.
„Schwester Maria Margarete. Sie hält die Lesung beim Abendessen und beendet sie jeden Abend mit dem gleichen Satz. Aber weil sie gefühlt schon Hundert ist, kann ihr das keines der Mädels übel nehmen …“
Der Verkehrsfunk unterbrach Bobbys unerwartetes Geständnis. Und was die beiden Frauen hörten, war eine schier endlose Litanei von Autobahnnummern, auf denen es zu Behinderungen kam.
„Gesperrt wegen liegengebliebener LKW sind weiterhin die A 8, die A 9, die A …“
„Shit! Irgendwo vor uns geht es nicht mehr weiter. Schauen wir bloß, dass wir von der Autobahn kommen, bevor wir irgendwo in einer Totalsperre landen und die Nacht im Auto verbringen müssen.“
Susanne fluchte.
„Schau mal, Mum. Da vorne ist eine Raststätte. Vielleicht haben die ein kleines Hotel oder sowas, wo wir übernachten können.“
Also setzte Susanne den Blinker und fuhr auf die Raststätte, auf der sich vor der Tankstelle schon ein kleiner Stau gebildet hatte. Sie ließen die Fahrzeuge hinter sich und fuhren über den kleinen Parkplatz in Richtung des leuchtenden Logos einer großen Fastfood-Kette. Neben dem Fastfood-Restaurant war tatsächlich eine Art „Hotel“, wobei man die Wand aus auf- und nebeneinander gesetzten Wohncontainern mit Fenstern wahrlich nicht so beschreiben konnte. Aber falls sie noch ein Zimmer bekämen, wäre es besser als nichts.
Als sie den Wagen anhielten und ausstiegen, empfing sie ein eisiger Schneewirbel.
„Schauen wir, dass wir hineinkommen. Um unser Gepäck können wir uns noch kümmern, wenn wir eingecheckt haben“, rief Susanne und Bobby folgte ihr in Richtung Eingangstür.
Der Mann am Empfang verzichtete dankenswerterweise auf den üblichen Smalltalk. Ja, es gebe noch ein Doppelzimmer. Nein, die Zimmer hätten keine Dusche, es gäbe aber Duschen auf jeder Etage. Ja, Frühstück gebe es ab 5.30 Uhr und ja, man könne mit Kreditkarte bezahlen.
Kaum 10 Minuten später lagen die beiden Frauen auf dem Doppelbett und starrten die fleckigweiße Decke des Containerzimmers an.
„Ich gehe mal schnell unsere Taschen holen“, Susanne raffte sich auf, schlüpfte wieder in Schuhe und Jacke und ging zur Tür.
„Soll ich mitgehen?“
„Nein, Bobby. Das schaffe ich auch so.“
Susanne kam aber nicht weiter als bis in den Flur. Sie hatte gerade die Tür wieder hinter sich zugezogen, da prallte sie gegen den massigen Körper eines Mannes.
„Wen haben wir denn da? Wohin denn so schnell kleine Lady?“ Die Stimme des Mannes war tief, der Typ selbst locker über einen Kopf größer als Susanne, die eine Entschuldigung murmelte und sich umdrehen wollte. Aber auch da stand ein Kerl, nicht ganz so groß wie Susanne, aber so muskulös, dass er fast quadratisch wirkte. Und er funkelte sie an.
„Hübsche Dame, wohin denn so schnell?“
„Ich will nur meine Tasche …“
„Wozu denn, Püppchen?“, der große Mann riss sie wieder herum und drückte sie an sich. Sein Gesicht war glatt rasiert, seine Haare glänzten feucht, Susanne konnte nicht umhin festzustellen, dass er wohl gerade geduscht hatte.
„Bitte, lassen Sie mich, ich habe Ihnen doch …“
Der kleinere Mann drückte sich von hinten an sie. Auch er schien gerade geduscht zu haben, denn sein Bart, der ihre Wange berührte, war feucht und roch nach einer Mischung aus Sandelholz, Honig und Vanille.
„Wie wäre es, hübsche Dame, wir könnten doch ein wenig Spaß haben. Wir tun dir auch nicht weh“, hauchte der kleine Mann in ihr Ohr.
Susanne sträubten sich alle Haare. Die beiden Männer hielten sie wie in einem Schraubstock zwischen sich gepresst.
Sie wollte schreien.
Sie sollte schreien.
Aber sie konnte es nicht.
Ein Gefühl der Angst lähmte sie. Und neben dem Gefühl der Angst war da noch etwas. Ein Gefühl, das ihr sagte, dass alles gut würde, vielleicht nicht gut, aber eben auch nicht so schlimm, wenn sie mitspielte.
„Na, Püppchen. Was hältst du von uns beiden?“ Der große Mann lockerte den Griff um ihr Handgelenk ein wenig. Mit der anderen Hand holte er ein Kondom aus seiner Gesäßtasche und hielt es vor sie. „Wir versprechen dir, auch ganz lieb zu dir zu sein und selbstverständlich machen wir es nicht ohne …“
„Und es passiert nichts, was du nicht willst. Nun ja, fast nichts …“, setzte sein Freund hinten nach.
Susanne starrte den Hünen vor sich an. Was war das hier? Eine Vergewaltigung? Wenn ja, dann war es mit Abstand die ungewöhnlichste Art, so etwas zu machen: Keine Drohung, zumindest keine offene, keine Waffe, keine Hände, die sich ungefragt in ihre Körperöffnungen bohrten, die ihr weh taten. All das hatte sie erlebt, in ihrer Ehe, auf Partys, von ihrem Mann und von vermeintlichen Freunden, die sich nahmen, was sie wollten.
Die beiden Männer wichen ein wenig von ihr zurück. Susanne fand sich plötzlich mit dem Rücken zur Tür stehend, ihre beiden „Vergewaltiger“ ihr gegenüber. Sie musterten die Männer, die ihrerseits sie von Kopf bis Fuß taxierte. Hätte sie sie auf einer Party angesprochen? Vielleicht nein. Hätte sie unter normalen Umständen zu einem Quickie Nein gesagt? Sicher nicht. Aber das hier waren keine normalen Umstände.
„Komm schon, Lady. Mach die Tür auf und genieße es. Wir wissen, was wir tun.“
Susanne schüttelte den Kopf.
„Meine Tochter ist da drin. Wir können da nicht …“
WAS hatte sie da gerade gesagt? Wir können da nicht? Sie verfluchte ihr Unterbewusstes, das scheinbar schon zugestimmt hatte, noch bevor sie sich darüber im Klaren war, was aus der Situation werden sollte.
„Die kleine Misses stört uns nicht. Vielleicht …“, der kleine Mann grinste sie an.
„Bobby ist Tabu!“ raunte Susanne. „Sie ist … sie hat noch nicht …“
Der große Mann legte seinen Zeigefinger auf ihre Lippen.
„Sssschhhhh! Du musst nichts erklären. Wenn du sagst, sie ist Tabu, dann ist sie das. So einfach ist das. Wenn sie gehen will, kann sie ja gehen.“
Bevor Susanne noch antworten kann, fühlte sie, wie ihr wortwörtlich der Rückhalt zu schwinden drohte und sie nach hinten kippte.
Bobby hatte die Tür geöffnet.
6 years ago